Stille Leben
Stille Leben
Die Kunst der vergänglichen Dinge
Seit dem 17. Jahrhundert gilt das Stillleben als eigenständige Bildgattung, in der Künstler die Schönheit des Alltäglichen, aber auch die Vergänglichkeit des Lebens festhielten.
Ob prächtig arrangierte Blumen, schlichte Gefäße oder verwelkende Pflanzen – das Stillleben lädt stets zu Betrachtung und Besinnung ein.
In unserer aktuellen Auswahl begegnen Sie dieser Tradition in vielfältiger Form: einer feinen Radierung von Georg Muche, der Gouache von Johann Rudolf Feyerabend, den edlen Platinum-Palladium-Fotografien von Gilles Lorin sowie einem seltenen Foto von Dr. Paul Wolff. Zusammen zeigen sie, wie zeitlos die Faszination für die stille Kunst des Arrangierens bleibt.
Gilles Lorin
LA DÉRAISON
Platinum-Palladium und Blattgold. 2019.
350 x 350 mm
€ 7.000.-
Gilles Lorin (1973 Aix-en-Provence)
Still Life oder Nature Morte?
„Still life“ – oder nature morte im Französischen – bezeichnet ein Genre, das traditionell unbelebte Objekte wie Früchte, Blumen oder Alltagsgegenstände darstellt, meist sorgfältig arrangiert mit Blick auf Komposition, Licht und Symbolik.
Der französische Begriff nature morte bedeutet wörtlich „tote Natur“ und spiegelt die statische Qualität dieser Objekte wider – für mich jedoch eine einschränkende Sichtweise. Ich bevorzuge den englischen Ausdruck „still life“, der vom niederländischen stilleven stammt und andeutet, dass diese unbelebten Dinge dennoch Leben, Bedeutung und Emotion tragen. Eine welkende Blume oder ein verfallendes Obst etwa verweisen auf die Vergänglichkeit des Lebens und betonen seine fragile Schönheit im Lauf der Zeit.
Das zeitgenössische Still Life knüpft an diese Tradition an, erweitert sie jedoch durch moderne Elemente und neue Ansätze von Abstraktion, Textur und Form. Ob klassisch oder modern – Still Life lädt dazu ein, das Alltägliche neu zu betrachten und die verborgene Schönheit wie auch die tiefere Bedeutung im scheinbar Übersehenen zu entdecken. Gilles Lorin
Gilles Lorin
STILL LIFE WITH NAUTILUS, STUDY NO. 1
Platinum-Palladium Abzug. 2018.
400 x 320 mm
€ 3.750.-
Georg Muche
AUF DEM TISCH
Radierung. 1923.
148 x 149 mm
€ 6.200.-
Georg Muche (1895 - 1986)
Stillleben waren im Bauhaus eine wichtige künstlerische Übung, um Form, Farbe und Komposition zu trainieren. Unter dem Einfluss von Lehrern wie Wassily Kandinsky dienten sie nicht nur dem Studium von Gegenständen, sondern bildeten zugleich die Grundlage für abstraktere Arbeiten und die Entwicklung neuer Stilrichtungen. Dabei rückten die Grundprinzipien der Bauhaus-Ästhetik – Formklarheit, Funktionalität und die Orientierung an industrieller Serienfertigung – in den Vordergrund.
Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Georg Muche, der als Künstler und Lehrer am Bauhaus tätig war. In seinen Stillleben wird die Hinwendung zur klaren, geometrischen Formensprache der Moderne deutlich. Werke wie die Radierung, Auf dem Tisch von 1923 zeigen Objekte in reduzierten, fragmentierten Formen, wodurch ein disziplinierter Stil entsteht, der das Neue Sehen und Gestalten des Bauhauses widerspiegelt.
Johann Rudolf Feyerabend
STILLLEBEN MIT SCHACHSPIEL UND GEIGE
Gouache. 19. Jhd.
170 x 220 mm
€ 750.-
Johann Rudolf Feyerabend (1779 - 1814)
Der Basler Künstler Johann Rudolf Feyerabend, auch unter dem Pseudonym Lelong bekannt, malte vor allem Porträts und Stillleben mit Blumen. Schon früh kam er in dem Atelier seines Vaters, dem Maler und Karikaturisten Franz Feyerabend, mit der Kunst in Berührung.
Bereits 1806 beschäftigte er sich in einer Aquarellkopie des berühmten Basler Totentanz-Zyklus mit dem memento mori-Motiv, das mahnend an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert. Auch wenn sein Stillleben mit Schachspiel und Geige keine klassischen Vanitas-Symbole wie verwesende Früchte, Totenschädel oder umgestürzte Gläser zeigt, knüpfen seine Arbeiten dennoch an diese Tradition an und führen sie in einer subtileren, zurückhaltenderen Form fort.
Gottfried Brockmann
STILLEBEN
Bleistift. Um 1925.
60 x 80 mm
€ 650.-
Gottfried Brockmann
DA STEHEN SIE UND WARTEN
Bleistift. Um 1935.
187 x 237 mm
€ 2.000.-
Gottfried Brockmann
SKIZZE ZU EINEM KÜCHENBILD
Bleistift, Bundstift, Kugelschreiber. 1924.
78 x 80 mm
€ 850.-
Gottfried Brockmann
KERZE MIT KUGEL
Bleistift. 1923.
91 x 118 mm
€ 650.-
Gottfried Brockmann (1903 - 1983)
Gottfried Brockmann wurde 1903 in Köln als Sohn eines Dekorationsmalers geboren und schon früh von der kreativen Umgebung seines Elternhauses geprägt. Im Atelier des Vaters lernte er Gliederpuppen und Gewandstudien kennen, während Besuche bei seiner Großmutter in der Schneiderstube sein Interesse an Motiven wie Nähmaschinen und Schneiderpuppen weckten. In der Weimarer Republik begegnete er den Strömungen des Dadaismus und der Neuen Sachlichkeit.
Seine künstlerische Blütezeit erlebte er in den 1920er Jahren im engen Austausch mit der Rheinischen Gruppe progressiver Künstler. Nach dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie, der Diffamierung durch die Nationalsozialisten und der Kriegsgefangenschaft ließ er sich 1952 in Kiel nieder. Dort arbeitete er zunächst als Kulturreferent, später als Lehrer an der Muthesius-Werkschule, bis zu seinem Tod 1983.
Seine Werke, oft präzise gezeichnet und zurückhaltend laviert, thematisieren die Entfremdung des Menschen in einer mechanisierten Welt. Figuren erscheinen reduziert auf Linien und geometrische Grundformen – Kugel, Kreis, Kubus oder Zylinder – und sind in beengten, bühnenartigen Räumen gefangen, die keine Flucht zulassen.
Dr. Paul Wolff (1887 - 1951)
OPUNTIA (KAKTUS)
Silbergelatineabzug. Circa 1935.
225 x 168 mm
€ 2.800.-
Dr. Paul Wolff (1887–1951) war ein deutscher Fotograf und Pionier der künstlerischen Fotografie im frühen 20. Jahrhundert. Bekannt wurde er insbesondere durch seine Arbeiten mit der Kamera Lucida und seine innovativen Experimente in der Schwarzweißfotografie. Wolff legte großen Wert auf Komposition, Lichtführung und die grafische Wirkung seiner Motive, wodurch seine Fotografien oft eine fast malerische Qualität besitzen.
Sein Werk Opuntia (Kaktus), ein Silbergelatineabzug um 1935, zeigt exemplarisch Wolffs Interesse an der Formensprache der Natur. Die Aufnahme konzentriert sich auf die charakteristischen Konturen und die Textur des Kaktus, wodurch ein harmonisches Spiel von Licht und Schatten entsteht. Diese Art der stillen Naturstudie spiegelt Wolffs Streben nach Klarheit, Präzision und ästhetischer Reduktion wider.